Hier schreibe ich nun heute meinen zweiten Bericht aus Stockholm. Ihr erinnert euch vielleicht an meine ersten Erfahrungen aus der pulsierenden Großstadt, die ich euch vor einiger Zeit schrieb.
Wie gesagt, ein Auswandererleben ist ein spannendes, mit vielen neuen Erlebnissen gespicktes, aber auch zuweilen entmutigendes Leben, welches aber nie langweilig wird, sofern man mit offenen Augen durchs Leben läuft.
Wer von euch das beschauliche Schleswig-Holstein kennt und vielleicht sogar schon mal im wunderschönen Flensburg war, der wird wissen, dass dies ein überschaubares und nettes Fleckchen Erde ist. Wohnt man, so wie ich, dort mehrere Jahre, so kennt man die Stadt mehr oder weniger gut. Man hat seinen Lieblingsbäcker, den Stammfriseur, das Lieblingscafé, welches meistens einen Platz frei hat und im Sommer gibt es einsame Strände, die die Touristen nicht kennen. Sprich, man hat seine Welt geordnet und sie verläuft im wahrsten Sinne des Wortes mehr oder weniger in bekannten Bahnen. So fühlt sich für mich ein Stück Heimat an. Man weiß wo man sich befindet, nimmt aktiv am Leben teil und bekommt hin und wieder ein vertrautes Feedback seiner Umgebung.
Und nun versuche ich mir dasselbe in Stockholm aufzubauen, ein Projekt, welches sich noch in den Kinderschuhen befindet.
Es ist nicht so, dass ich nie andere größere Städte besucht hätte, schließlich habe ich vor dem Leben hier zwei Monate in Melbourne verbracht. Aber diese Stadt bildet nun unwiderruflich meinen neuen Lebensmittelpunkt und soll meine Heimat werden. Darin sehe ich schon einen gewaltigen Unterschied. Und wie in jeder Großstadt beginnt die Anonymität auch hier in der U-Bahn, in der sich morgens und abends hunderte von Menschen in die Stadt hinein und aus der Stadt heraus quälen. Kein freundliches Hallo begegnet einem auf dem Weg in die Innenstadt, sondern eher Dutzende von Ellenbogen, die sich den Platz neben dir freiboxen, um noch den letzten Sitzplatz zu ergattern. Auch wenn man immer davon spricht, dass die Schweden ein sehr freundliches Volk sind, was in vielen Bereichen auch zutrifft, so kennen sie beim U-Bahn fahren nur wenig Freunde.
Das Leben in all seinen Facetten wird einem schon bewusst, wenn man sich nur den kleinsten Radius seiner Mitfahrer ansieht. Vielleicht ist eine typische Kunst der schwedischen Frauen sich in der U-Bahn zu schminken. Jedenfalls beeindruckt mich immer wieder die Präzision der jungen und auch nicht mehr ganz so jungen Frauen, die minutenlang während des Fahrens ihren Lidstrich nachziehen, ihr Make-up auffrischen und sich den Mund im knalligen Rot anmalen. Jegliches benötigte Material dafür wird anschließend behutsam wieder in den großen Taschen verstaut, bis es das nächste Mal dankbar wieder zur Anwendung kommen wird. Dies ist spätestens dann am Freitagabend, wenn sich der feierlustige Teil der Stockholmer in der U-Bahn auf den Weg zu verschiedenen Clubs macht. Hier lohnt sich auf jeden Fall eine Fahrt mit der Bahn, alleine um sich die verrücktesten Outfits der modebewussten Schweden anzusehen. Hierbei gilt wohl immer noch, was den einen stimmt zufrieden, dass betrübt den anderen sehr. 🙂
Des Weiteren unterhalten sich gerade in meiner U-Bahn zwei junge Mädchen laut kichernd über ihre Mitschüler, einem Mann gegenüber hämmern die Bässe aus seinen Ohrstöpseln, viele andere sind in ihre Zeitungen vertieft und ein Großteil aller Mitreisenden ist am telefonieren. In meinem ganzen bisherigen Leben habe ich nie so viele Menschen telefonieren sehen, man bekommt das Gefühl, ganz Stockholm hat eine Handyflatrate gepachtet. 🙂
Da ich ja nun fleißig mein Schwedisch übe, bekommt man also auch mehr und weniger freiwillig jegliche Telefonate mit. Ein Mädchen ist empört darüber, dass ihr Freund gestern Abend so lange unterwegs war, ein junger Mann bestellt einen Tisch in einem angesagten Restaurant in der Stadt und die alte Frau mir gegenüber versucht seit Tagen ihre Schwiegertochter zu erreichen und hat immer nur die Enkelin am Apparat. Ja, willkommen in der Großstadt! Das Leben ist ein wahrer Strauß vieler verschiedener bunter Blumen. Und so kann es eben auch vorkommen, dass man manche gut riechen kann, andere wieder nicht und gar gegen einige von ihnen allergisch ist.
Mich erschöpfen manchmal noch die vielen Eindrücke, so gerne ich ihnen auch begegne. Da freue ich mich Abends doch, wenn ich mich dann in meinen vertrauten Wänden wiederfinde, mit einem guten Glas Rotwein in der Hand und sich mittlerweile doch das Gefühl von Heimat ausbreitet. Ja, es ist wohl was Wahres an dem Sprichwort “Heimat ist immer dort, wo das Herz Zuhause ist“.
Auch, wenn ich erst kurz hier bin und sicherlich noch nicht die touristische Brille abgesetzt habe, so empfinde ich für diese Stadt trotzdem eine tiefe Zuneigung. Was für ein wunderbares Geschenk, all dieses Dinge erleben zu dürfen!
Und so nimmt man doch auch gerne in Kauf, dass es keinen Grünkohl im Supermarkt zu kaufen gibt, auch wenn man als Bremerin einen ganzen Winter lang nicht gerne darauf verzichten würde. Oder man im Supermarkt die Auswahl aus mindestens zehn verschiedenen Knäckebrotsorten hat, aber kaum ein vernünftiges Schwarzbrot zu adäquaten Preisen findet. So ist es eben, dass Leben in einer fremden Kultur, die es nun verlangt, dass man sich mit ihr anfreundet.
Für heute möchte ich nur noch hinzufügen, dass der Winter hier in Stockholm eine herrliche Jahreszeit ist. Wir haben immer noch Schnee und ab und an Minusgrade, die dazu führen, dass man auf den zugefrorenen Seen Schlittschuhlaufen kann. Man kann nur schwer in Worte fassen, welches Panorama sich einem an einem sonnigen Sonntagnachmittag bietet, wenn man auf einem der vielen und riesengroßen Seen eine Runde dreht. Fast malerisch ist diese Ruhe und Stille, gepaart mit all den zufriedenen großen und kleinen Familien, die sich hier betätigen. Und für einen Moment lang kann man vergessen, dass wenn man wieder ins Auto steigt, die Innenstadt in all ihrer Pracht und Impulsivität nur wenige Minuten entfernt liegt. Dies ist Stockholm – die Stadt der wunderbaren Gegensätze!
Ich wünsche allen einen guten Start in eine zufriedene Woche! Mal sehen, was ich bis zum nächsten Mal erlebe und euch dann wieder mitteilen kann.
Anna
Autor(in): Anna-Maria – [email protected]