Meine erste Wintertour
Zugegeben, ich mag den Winter. Trotzdem hat es einige Zeit gedauert, bis ich die Schneeschuhtour in Schwedisch-Lappland gebucht habe. Irgendwie habe ich großen Respekt, vielleicht ein bisschen Angst vor dem hohen Norden und dem Winter dort oben.
Doch schließlich habe ich es doch gewagt und mich gedanklich auf kalte Nächte, massenhaft Schnee und eisige Stürme eingestellt.
In Lappland empfangen mich 15 Grad unter Null und strahlender Sonnenschein. Anki, die Mitarbeiterin von arctitrex.com, dem Reiseveranstalter, bei dem ich meine Tour gebucht habe, strahlt mit der Sonne um die Wette. Sofort fühle ich mich zu Hause.
Anki holt mich vom Flughafen ab. Noch vier andere Mutige, die mit mir auf diese fünftägige Tour gehen wollen, warten schon. Für die zwei Pärchen aus dem Ruhrgebiet ist es ebenfalls die erste Wintertour und ich werde etwas lockerer.
Als wir am nächsten Tag in die Berge aufbrechen, scheint immer noch die Sonne. Nach einer kurzen Einweisung in die Kunst des Schneeschuhlaufens, brechen wir mit Anki als unserer Bergführerin auf. Jeder von uns zieht eine Pulka mit der persönlichen Ausrüstung, Zelt, Schlafsack, Kocher, Geschirr und Verpflegung.
Die ersten Kilometer laufen wir im Gänsemarsch entlang des zugefrorenen Tjulån zum See Stor Tjulträsket. Der Winter zeigt sich von seiner besten Seite, die Tage sind schon länger als bei mir zu Hause in Mitteleuropa, das Wetter sehr stabil und meist sonnig.
Eingerahmt von über 1000 Meter hohen Bergketten und mit meterdickem Eis bedeckt liegt der See vor uns. An seinem anderen Ende erreichen wir wieder den Wald und steigen durch wegloses Gelände in einem verschneiten Flussbett einen sanften Hang hinauf. Die Schneeschuhe tragen uns sicher durch den dicken Pulverschnee. Am Nachmittag erreichen wir unsere erste Übernachtungshütte. Ich staune nicht schlecht, denn einen solchen Komfort habe ich nicht erwartet. In der Hütte gibt es nicht nur einen Ofen, Betten, Tisch und Stühle, sondern auch eine komplett ausgestattete Küche. Schnell brennt ein Feuer im Kanonenofen und das Teewasser steht auf dem Herd. Gemeinsam bereiten wir das Abendessen und genießen satt und zufrieden den glutroten Sonnenuntergang.
Ich habe mich schon am ersten Tag schnell an die Schneeschuhe gewöhnt. Auch das Ziehen der Pulka bereitet keinem von uns Schwierigkeiten. So kommen wir auch heute, an Tag 2 schneller voran als gedacht und machen uns an den Aufstieg ins Hochfjäll. Ganz allmählich ändert sich das Gesicht der Landschaft. Die ohnehin kleinen Birkenbäume werden immer kleiner und schließlich ganz abgelöst von Weidengebüsch, das nur ein paar Zentimeter aus dem Schnee heraus schaut. Als wir auf dem Hochplateau ankommen, sehen wir fast keine Vegetation mehr, nur hin und wieder einen kleinen, vom Wind zerzausten Baum. In einer Schutzhütte schlagen wir kurz vor Einbruch der Dämmerung unser Nachtlager auf. Sie ist zwar nicht so komfortabel wie die erste Hütte, aber es gibt genug Brennholz und einen Ofen, auf dem wir unser Essen zubereiten können, heute Köttbullar mit Tomaten und Reis.
Der Tag war anstrengend und so hätten wir fast unsere ersten Nordlichter verschlafen. Ich habe so etwas noch nie vorher gesehen. Wie Derwische tanzen die grünen Schleier am Abendhimmel und ziehen uns in ihren Bann. Kein Wunder, dass diesen gespenstischen Lichtern auch heute noch magische Kräfte zugeschrieben werden. Ich erwache früher als die anderen. Nur Anki hat schon Feuer entfacht und überprüft vor der Tür die Ausrüstung. Obwohl es gerade zu dämmern beginnt, ist es fast taghell. Der Schnee reflektiert die Strahlen von Mond und Sternen und taucht alles ringsum in ein fantastisches Licht.
Nach dem Frühstück, es gibt Fladen mit Blaubeeren, starten wir zur Überquerung des Hochplateaus. Grenzenlose Stille umgibt uns und wir wandern in Gedanken versunken durch die weiße Weite. Hier, oberhalb der Baumgrenze, trifft man im Winter kaum ein Lebewesen. Wir hoffen, dass uns mit etwas Glück vielleicht doch ein einzelner Wolf oder ein Vielfraß über den Weg läuft. Aber außer der Spur eines Luchses sehen wir nur ein paar Krähen. Es ist nicht einfach, sich zu orientieren. Im gleißenden Sonnenlicht verschwimmen alle Konturen und es gibt kaum Orientierungspunkte. Doch Anki führt uns souverän durch mehrere Schluchten hindurch, an Schneewächten vorbei, über zugefrorene Bergseen. Am Nachmittag geht es bergab und wir erreichen mitten im Wald unsere Hütte.
Die vierte Etappe wird die kürzeste der gesamten Tour. Wir legen nur etwa 15 km zurück und sind schon kurz nach dem Mittag am Ziel. Wir haben das Hochfjäll jetzt endgültig verlassen und folgen dem Lauf des Flusses Vindelälven. Rechts und links des Weges türmen sich steil abfallende Felswände auf. Hier hat sich der Fluss über Jahrmillionen seinen Weg gebahnt und breite Täler hinterlassen.
Unsere Hütte liegt am Fluss direkt unterhalb einer kleinen Stromschnelle. Spät im Winter ist unser Fluss an dieser Stelle nicht mehr ganz zugefroren. Wir können heute unser Wasser direkt aus dem Fluss holen und brauchen nicht erst langwierig Schnee zu schmelzen. Bald sitzen wir mit einer Tasse Kaffee vor unserer Hütte und genießen die Nachmittagssonne. Anki berichtet von einigen abenteuerlichen Touren mit ihren Schlittenhunden. Einmal waren sie und ihr Mann allein im Gebirge unterwegs. Bei einem schweren Schneesturm, man konnte die Hand nicht vor Augen sehen, gab es keine Möglichkeit mehr, sich zu orientieren. Sie verbrachten eine eisige Nacht im Zelt. Als der Sturm sich gelegt hatte, sahen sie die Hütte, sie lag nur knapp 100 Meter von ihrem Zelt entfernt.
Der letzte Tag unserer Schneeschuhwanderung ist gekommen. Nach dem Frühstück brechen wir auf. Wir überqueren den Fluss ca. 1 km unterhalb der Stromschnellen. Anki das Eis geprüft, 60 cm sind dick genug für uns. Der Fluss wird zunehmend breiter und hat stark an Strömung verloren. Unsere kurze Mittagsrast verbringen wir diesmal direkt auf dem Eis, komisches Gefühl. Die Sonne scheint, es ist absolut windstill und etwa 5 Grad unter Null, einfach perfektes Wetter.
Ich denke an zu Hause, dort grünte und blühte schon alles als ich aufbrach, während hier oben noch tiefster Winter herrscht. Aber in ein paar Wochen werden auch hier die ersten Blätter sprießen. Und danach geht alles sehr schnell, sagt Anki, der Frühling ist nicht mehr aufzuhalten. Unmengen an Schmelzwasser stürzen dann den Fluss hinunter, auf dem wir heute noch stehen.
Die ersten Häuser kommen in Sicht und plötzlich sind wir zurück, ein Schnee-Skooter kommt uns entgegen, es gibt einen kleinen Supermarkt, eine alte Holzkirche. Für den letzten Abend hat sich Anki etwas Besonderes einfallen lassen. Zuerst ein üppiges Essen. Es gibt Elch mit Gemüse und Bratkartoffeln, reichlich Wein, zum Abschluss Kaffee und Kuchen. Danach geht es in die Sauna, die zu unserem Bungalow gehört. Ein gelungener Abschluss meiner ersten, aber gewiss nicht letzten Wintertour in Lappland.
Es ist schön, die Selbstverständlichkeiten der Zivilisation zu genießen. Um es warm zu haben, müssen wir kein Feuer anzünden und für Wasser, brauchen wir auch keinen Schnee mehr zu schmelzen. Und doch werde ich sie vermissen, die warmen Abende am Holzfeuer und die langen Wanderungen in Schnee und Eis. Meine anfängliche Angst vor dem Winter in Nordschweden ist verschwunden, geblieben ist jedoch ein tiefer Respekt vor der rauen Landschaft und ihren Bewohnern.