Zugegeben, das Thema Immobiliengutachten klingt auf den ersten Blick nicht besonders spannend. Es kann jedoch hilfreich sein, sich hier einen Überblick zu verschaffen, denn in Schweden gilt beim Kauf eines Hauses der Grundsatz „gekauft wie gesehen“. Die vollständige Untersuchungspflicht des Hauses liegt demnach auf der Käufer:innenseite. Es kann also gefährlich sein, sich beim Kauf ausschließlich von seinen Emotionen leiten zu lassen und ein Haus wegen des wunderschönen Parketts, des auf den ersten Blick gut erhaltenen Kachelofens oder des hübschen Gartens erwerben zu wollen. Besonders bei älteren Immobilien sollte es vielmehr um Fragestellungen wie diese gehen: Ist das Dach wirklich dicht? Gibt es Schimmel im Keller? Gibt es Mängel an der Bausubstanz, die sofortige Renovierungsmaßnahmen unerlässlich werden lassen? In diesem Artikel schauen wir uns daher das Thema Immobiliengutachten in Schweden genauer an, legen die Tätigkeitsfelder eines Gutachters fest, werfen einen Blick auf die Kosten und nehmen die Gutachterprotokolle unter die Lupe.
Warum und in welchen Fällen kann die Begutachtung einer Immobilie in Schweden sinnvoll sein?
Grundsätzlich ist es in Schweden nicht verpflichtend, ein Haus im Zusammenhang mit dessen Kauf bzw. Verkauf begutachten zu lassen. Wie oben bereits genannt, hat die Käufer:innenseite die vollständige Pflicht zur Untersuchung der Immobilie vor deren Kauf. Das bedeutet, dass der/die Verkäufer:in nicht für Mängel verantwortlich gemacht werden kann, die der/die Käufer:in hätte entdecken können oder die für den Zustand, den Preis und das Alter des Hauses zu erwarten sind. Auch ein/e professionelle/r Gutachter:in übernimmt die Verantwortung zur sorgfältigen Untersuchung des Hauses nicht; er/sie kann jedoch professionell unterstützen und wichtige Hinweise geben. So sind zum Beispiel Feuchtigkeitsschäden oder Schimmelbefall nicht unbedingt auf den ersten Blick durch den/die Käufer:in selbst zu erkennen. Auch die Dichtheit des Daches und die Beschaffenheit der Baustruktur lassen sich von einem Laien oft nicht ausreichend prüfen. Besonders bei einem alten Haus kann eine fachkundige, unparteiische Einschätzung des Zustandes durch eine/n Gutachter:in wichtig sein. Diese/r kann beispielsweise sagen, welche Sanierungskosten in welcher Höhe auf den/die Kaufinteressent:innen zukommen. Zudem hat er/sie einen Blick für typische Mängeln bei alten Häusern wie zum Beispiel Substanzschäden (aufsteigende Feuchtigkeit, Schädlingsbefall, Hausschwamm) oder Schimmel. Das Gutachten kann somit als Vervollständigung der Untersuchungspflicht des Käufers/der Käuferin zu sehen sein.
Die Verkäuferseite hingegen hat die sogenannte Auskunfts- oder Aufklärungspflicht was bedeutet, dass sie Interessent:innen über bekannte Mängel oder solche, die im Zusammenhang mit dem Zustand oder dem Alter des Hauses unverhältnismäßig erscheinen, aufklären muss. In den letzten Jahren ist es immer üblicher geworden, dass der/die Verkäufer:in bereits eine/n Gutachter/in beauftragt und das entsprechende Protokoll noch vor dem Besichtigungstermin an Kaufinteressierte aushändigt. Diese Vorgehensweise ist oft für beide Parteien von Vorteil. Kaufinteressierte erhalten somit eine genauere Einsicht in die Besonderheiten des Hauses mit Hinweisen auf Mängel und Maßnahmen, die zu deren Behebung getroffen werden sollten. Die Verkäuferseite erhält eine fachkundige Einschätzung, die den Wert des Hauses einfacher bestimmen lässt und aufzeigt, welche Maßnahmen gegebenenfalls noch vor dem geplanten Verkauf getroffen werden können, um den Zustand sowie den Verkaufspreis des Hauses zu verbessern. Außerdem kann eine Begutachtung vor dem geplanten Verkauf wie ein Qualitätstempel in der Immobilienanzeige gewertet werden, welche den Interessierten eine zusätzliche Sicherheit bietet.
Wie geht ein Gutachter vor und was wird überhaupt begutachtet?
Die Begutachtung eines Hauses in Schweden kann unterschiedliche Inhalte haben. Diese variieren je nachdem, welche Firma mit dem Gutachten beauftragt wird. Es ist aus diesem Grund wichtig, die schriftlichen Vertragsdokumente genau zu lesen um herauszufinden, was das jeweilige Gutachten beinhaltet. Grundsätzlich kann man sagen, dass ein unparteiischer Gutachter eine gründliche Untersuchung des Hauses durchführt, um dessen baulichen Zustand festzustellen. Außerdem wird auch der Grund und Boden, der von technischer oder statischer Bedeutung für das Gebäude ist, untersucht. In der Regel beginnt der/die Gutachter:in mit der Durchsicht sämtlicher Pläne, Baugenehmigungen und sonstigen Unterlagen, welche das Haus betreffen. Außerdem spricht der/die Gutachter:in mit den Eigentümern über Schäden am Haus und etwaige Renovierungsmaßnahmen. Darauf folgt eine sogenannte okulare Begutachtung: Mit Hilfe von Geruch, Inaugenscheinnahme und dem Gehör geht der/die Gutachter:in durch die Immobilie und untersucht stichprobenartig unter anderem die Wände, das Dach, den Dachboden, die Grundkonstruktion, die Fassade, die Küche, das Badezimmer und die Fenster. Sämtliche Erkenntnisse, die der/die Gutachter:in gewonnen hat, werden in einem Protokoll zusammengefasst. Dieses beinhaltet in der Regel auch eine Skalierung der Auffälligkeiten nach Dringlichkeit zur Behebung. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch zu wissen, welche Dinge in Schweden selten von einem Gutachter geprüft werden. Dies sind zum Beispiel Belüftung, Wasser- und Abwasserversorgung, Heizung, Schornstein, Kamin oder Ofen und die Elektrizität eines Hauses. Sollte der/die Gutachter:in hier jedoch Anzeichen für Fehler oder Mängel feststellen so wird er/sie raten, einen speziellen Fachmann hinzuzuziehen. Für den Fall, dass der/die Gutachter:in eine Fehleinschätzung trifft oder Mängel nicht bemerkt, die zum Arbeitsauftrag gehörten, kann man als Auftraggeber/in eine Entschädigung fordern. Dies ist aber nur in einem begrenzten Zeitraum möglich, der im Vertrag mit dem/der Gutachter:in festgelegt wird.
Zu welchem Zeitpunkt innerhalb des Kaufprozesses ist eine Begutachtung sinnvoll?
Eine Begutachtung ist sowohl vor oder nach der Kaufvertragsunterzeichnung möglich. Üblicher ist allerding die Durchführung vor Vertragsunterzeichnung. Vorteil ist hier, dass man mit dem/der Verkäufer:in den Preis neu verhandeln oder Mängel vor Kauf beheben lassen kann. Sollte dies nicht möglich sein, kann man stattdessen eine Klausel in den Kaufvertrag aufnehmen lassen, die die Durchführung einer Begutachtung innerhalb einer bestimmten Zeit voraussetzt und die Stornierung des Kaufes ermöglicht, sollte das Haus Mängel haben, die für die Käuferseite unakzeptabel erscheinen. In diesem Fall läuft man allerdings Gefahr, dass die Verkäuferseite sich bei mehreren Interessent:innen für eine/n andere/n Käufer:in entscheidet.
Und wie steht es um die Kosten?
Die Kosten für ein Gutachten beim Hauskauf belaufen sich auf ca. EUR 1.000 – 2.000, je nach Größe und Lage des Hauses sowie Umfang des Auftrages. Auf den ersten Blick erscheinen die Kosten für ein Gutachten hoch, in Relation zu den Anschaffungskosten für ein Haus sind sie jedoch eher gering. Auf lange Sicht kann sich die Beauftragung eines/r Gutachters:in also als günstige Investition herausstellen.
Was sagt das Gutachten aus?
In den meisten Fällen wird der Gutachter Mängel und Defizite am Haus finden und in das entsprechende Protokoll aufnehmen.
Hier ist es als Kaufinteressent:in wichtig zu verstehen, welche Mängel erheblich sind, welche unmittelbar behoben werden müssen, welche eingehendere Untersuchungen nötig werden lassen, welche eher zu vernachlässigen sind und vor allem mit welchen weiteren Kosten die Mängelbehebung verbunden ist. In den meisten Gutachten findet man daher eine Einordnung der Auffälligkeiten in verschiedene Dringlichkeitsstufen. Sind die Mängel, die der/die Gutachter:in entdeckt hat, erheblich und ist deren Behebung mit hohen Kosten verbunden, kann man als Kaufinteressent:in das Gebot auf das Haus entweder zurückziehen oder nach unten korrigieren. Hier kann der/die Verkäufer:in letztendlich entscheiden, ob er/sie auf das verminderte Angebot eingeht oder nicht. Hat die Verkäuferseite das Gutachten in Auftrag gegeben, hat man als potenzielle/r Käufer:in das Recht auf eine Durchsicht zusammen mit dem/der Gutachter:in. Diese/r kann dem/r Käufer:in – vor Ort oder telefonisch – erläutern, wie das Gutachten zu verstehen ist und welche Auffälligkeiten es hinsichtlich des Hauses gibt. Dies ist eine einzigartige Möglichkeit, das Haus und dessen etwaige Schwachstellen kennenzulernen.
Wer haftet für versteckte Mängel, die auch durch einen Gutachter nicht aufgedeckt wurden?
Ein/e Gutachter:in sollte seine/ihre Arbeit so sorgfältig wie möglich erledigen. Darüber hinaus gibt es an den/die Gutachter:in jedoch keine Ansprüche, sämtliche vorliegenden Mängel eines Hauses zu finden. Vielmehr ist der/die Verkäufer:in verpflichtet über Mängel zu informieren, die für Interessent:innen und/oder Gutachter:innen auch nach genauer Prüfung nicht zu entdecken sind und die in Hinblick auf Alter und Zustand des Hauses nicht erwartbar gewesen wären (sog. versteckte Mängel oder „dolda fel“). Als versteckte Mängel werden zum Beispiel Schäden, die durch Feuchtigkeit, Schimmel, Schädlinge, Konstruktionsfehler, Fehler in der Drainage oder andere schwerwiegende bauliche Mängel hervorgerufen werden, bezeichnet. Hier kann die Verkäuferseite bis zu 10 Jahre nach Kauf haftbar gemacht werden, sollte zu beweisen sein, dass die Mängel zum Kaufzeitpunkt vorgelegen haben. Dies geschieht unabhängig davon, ob die Verkäuferseite zum Zeitpunkt des Verkaufs Kenntnis über den Mangel hatte oder nicht.
Als Käufer:in hat man ein Recht auf Rückerstattung eines Teils des Kaufpreises. Ist der Mangel wesentlich und wird von der Käuferseite innerhalb eines Jahres nach Kauf entdeckt, kann diese in gewissen Fällen sogar nachträglich vom Kauf zurücktreten.
Einige Verkäufer:innen schließen eine Versicherung zum Schutz vor Haftung durch versteckte Mängel ab. Diese deckt alle eventuellen Kosten innerhalb der Haftungsfrist von 10 Jahren ab. Ob man sich beim Kauf eines Hauses auf seine Erfahrung oder das Bauchgefühl verlässt, einen befreundeten Handwerker mit zur Besichtigung nimmt oder an einen Gutachter wendet, bleibt jedem selbst überlassen und ist vom einzelnen Objekt abhängig zu machen. Empfehlenswert ist sicherlich, eine Begutachtung – ob von Käufer- oder Verkäuferseite beauftragt – als Indikator und Hilfe im Kaufprozess und als Unterstützung im Rahmen der Untersuchungspflicht des Käufers/der Käuferin zu verstehen.
Gastartikel von Wiebke Geib (www.schwedensehnsucht.de)
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