„Wir nehmen an – gerade weil es absurd ist – dass ich nicht existiert habe.“ Der Eröffnungssatz des neuesten Romans von Lars Gustafsson ist nicht nur einer der schönsten, die man in dieser Kategorie lesen kann, er zeigt auch bereits auf, was das Themengebiet ist, in dem sich der schwedische Autor zuhause fühlt. Als gelernter Philosoph beschäftigt ihn die Frage nach dem Sein genauso wie die nach dem Schein; das „Was wäre wenn“, das Spiel mit den Möglichkeiten und die ewige Suche nach dem Sinn dahinter sind die immer wiederkehrenden Motive im Schaffen Gustafssons.
Wer nun aber hinter den Werken des 1936 in Västerås geborenen Autors als Romane getarnte trockene philosophische Abhandlungen vermutet, könnte kaum weiter daneben liegen. Gustafsson erzählt Geschichten, die nicht nur spannend sind sondern zu Herzen gehen. „Frau Sorgedahls schöne weiße Arme“ – eben jener neueste Roman – ist dafür das beste Beispiel. Darin schwelgt der Erzähler in Erinnerungen an das Schweden der 50er und 60er Jahre. Unbeschwerte Sommer, Musik, schwärmerische Liebe.
Lars Gustafsson: Literatur als philosophisches Werkzeug
Doch wie real können die Erinnerungen eines alternden Philosophie-Professors sein? In eine scheinbar leichtfüßige Erzählung mischen sich sehr grundsätzliche Fragen. Und das, ohne dass die Geschichte jemals ihre Leichtigkeit verliert. Darin liegt die große Kunst Gustafssons.
„Das Mädchen mit der blauen Mütze“ – eine kurze Erzählung, 1981 veröffentlicht in dem Band „Erzählungen von glücklichen Menschen“, ist Gustafsson komprimiert auf nur wenigen Seiten. Ein Mann stößt in einem Telefonbuch auf den Namen einer längst totgeglaubten Frau, mit der er einst zur Schule ging. Er beschließt diese aufzusuchen. Als er zu ihrer Adresse kommt, begegnet er tatsächlich seiner alten Schulkameradin. Diese scheint auch ihn zu erkennen, doch keiner der beiden wagt den ersten Schritt, sie gehen aneinander vorbei. Und obwohl die Erzählung hier schon zu Ende ist, fängt die Geschichte eigentlich erst an.
Typisch für Gustafsson. Er umgarnt die Leser mit wunderbarer Poesie, Geschichten voller Witz aber auch Romantik, die beim Leser einen Knopf drücken, etwas auslösen, das erst beginnt zu arbeiten, wenn man das Buch bereits weggelegt hat. Kaum überraschend, dass Gustafsson sich selbst als Philosophen bezeichnet, der die Literatur als sein Werkzeug benutzt.
Gustafsson und sein Heimatland Schweden
Ein weiteres wichtiges Thema bei Gustafsson ist sein Heimatland. Vielleicht gerade weil er diesem lange den Rücken gekehrt hat. Über 20 Jahre lebte er in Austin, Texas, wo er eine Professur in Germanistische Studien und Philosophie an der University of Texas innehatte. Literarisch jedoch kehrte er immer wieder nach Schweden zurück. Bestes Beispiel dafür ist sein Romanreihe „Risse in der Mauer“, mit der er die 60er und frühen 70er Jahre in Schweden nachzeichnet.
Oder eben sein neuester Roman „Frau Sorgedahls schöne weiße Arme“, der in Gustafssons Heimat Västmanland spielt. Ein in vielen Aspekten typischer Roman von Gustafsson. Und einer seiner schönsten. Ideal also für alle, die mehr von diesem Autor lesen wollen.
Autor(in): Sven Weiss – [email protected]
Kommentare
Eine Antwort zu „Lars Gustafsson und das Spiel der Möglichkeiten“
Sehr schön, danke. Gustafsson begeleitet mich schon viele viele Jahre. Sie haben das gut getroffen, was seinen Zauber ausmacht.