Raoul Wallenberg ist mit Sicherheit eine der interessantesten Persönlichkeiten Schwedens. Er rettete Zehntausende ungarischer Juden vor dem sicheren Tod in Auschwitz. Sein eigenes Schicksal liegt jedoch weiter im Dunkeln – starb er bereits 1947 in Moskau oder lebte er in russischer Haft noch bis in die 1990-er Jahre?
Raoul war ein Sprössling der wohlhabendsten und einflussreichsten Familiendynastie Schwedens, den Wallenbergs. Sein Urgroßvater gründete 1856 die inzwischen auch in Deutschland Fuß fassende Bank ‚Skandinaviska Enskilda Banken‘ (SEB, ursprünglich ‚Stockholms Enskilda Bank‘). Raoul Wallenberg wurde am 4. August 1912 vor den Toren Stockholms auf Lidingö geboren. Sein Vater Raoul Oscar starb noch vor seiner Geburt, weshalb sein Großvater Gustaf Oscar, ein schwedischer Diplomat, großen Anteil am Werdegang seines Enkels nahm. Seine Mutter Maria Sofia Wising, unter deren Vorfahren auch Juden waren, heiratete sechs Jahre später erneut (seine Halbnichte ist mit Kofi Annan verheiratet).
Nach seinem Architekturstudium in den USA von 1931 bis 1935 arbeitete Raoul, der sehr gut Deutsch, Englisch und Französisch und auch Russisch sprach, durch Vermittlung seines Großvaters 1935 bei einer niederländischen Bank in Haifa. Dort kam er in Kontakt mit aus Deutschland geflohenen Juden und wurde sich zum ersten Mal der Judenverfolgung in Deutschland bewusst. Stand er den Juden zuvor eher gleichgültig bis ablehnend gegenüber, so entwickelte er nun starke Sympathien für diese. 1936 kehrte er indes nach Schweden zurück. Sein Onkel Jacob verhalf ihm dort zu einer Stelle bei der kleinen Firma ‚Mellaneuropeiska Handels AB‘, deren Geschäftsgrundlage Lebensmittelex- und -importe zwischen Schweden und Ungarn war. Der Geschäftsführer Kálmán Lauer war ein ungarischer Jude, der als solcher nicht in die von den Nazis besetzten oder mit ihnen kollaborierenden Teile Europas reisen konnte. Deshalb erbot sich Wallenberg für diesen zu reisen und wurde bald Leiter der Auslandsabteilung der Firma. Nach Ungarn kam er zum ersten Mal für drei Wochen im Februar 1942, das zweite Mal von Anfang September bis Mitte Oktober 1943.
Als Mitte Mai 1944 unter der Leitung Adolf Eichmanns die Deportation der ungarischen Juden begann, wurde Wallenberg vom amerikanischen ‚War Refugee Board‘ (WRB) und von Repräsentanten des ‚World Jewish Congress‘ in Skandinavien als Repräsentant des neutralen Schweden ausgewählt und in der Folge als offizieller Gesandter nach Ungarn geschickt. Sein Auftrag war, das WRB bei der Rettung ungarischer Juden zu unterstützen. Dies war ihm unter dem Schutz des Diplomatenstatus durch die Verteilung provisorischer schwedischer Pässe sowie sogenannter ‚Schutzpässe‘ an Juden, die irgendeinen Bezug zu Schweden hatten, möglich. Diese Dokumente identifizierten die Inhaber als schwedische Staatsbürger (ähnliche Dokumente stellten auch die Schweiz und der Vatikan aus).
Da die ungarischen Transportkapazitäten für die Deportation der Juden nicht mehr ausreichten, ließ Eichmann im November 1944 eine große Zahl von Juden auf Todesmärschen zu Fuß zur österreichischen Grenze treiben. Wallenberg verteilte dabei u. a. Essen und fragte nach Inhabern schwedischer Schutzpässe. Durch sein entschlossenes Auftreten und geschickte Täuschungsmanöver gelang es ihm, etwa 200 der Unglücklichen auf von ihm organisierten Lastwagen nach Budapest zur schwedischen Gesandtschaft zurückzubringen.
Wallenberg trat auch entschlossen den ungarischen Faschisten, den ‚Pfeilkreuzlern‘, entgegen, die ab Oktober 1944 Greueltaten unter den Juden verrichteten (bis März 1945 sollen sie 50.000 Juden ermordet haben).
Durch die Herrschaft der Pfeilkreuzler, die ab Dezember 1944 sämtlichen Respekt vor der Immunität schwedischer Diplomaten abgelegt hatten und die schwedische Gesandtschaft besetzten, war Wallenberg gezwungen sich versteckt zu halten. Im Januar 1945 trat er aus freien Stücken in Kontakt mit der anrollenden Roten Armee, um weiterhin schützend tätig zu sein. Allerdings gab Vize-Verteidigungsminister Bulganin am 17. Januar den Befehl, Wallenberg festzunehmen und nach Moskau abzutransportieren. Der Grund war wohl, dass man auf sowjetischer Seite Wallenberg als entweder englisch-amerikanischen oder deutschen Spion ansah.
Bis Anfang 1947 ist bekannt, in welchen Zellen und Gefängnissen sich Wallenberg befand, wann und von wem er verhört wurde. Über die Zeit danach herrscht Unklarheit. Einem russischen Bericht zufolge starb Wallenberg 1947. Allerdings gab es immer wieder Äußerungen von russischer Seite, dass Wallenberg noch lebe. Mehrere Zeugen wollen Wallenberg noch 1981 in sibirischen oder russischen Lagern gesehen haben. Ehemalige Insassen des GULAG-Systems behaupten einen Ausländer, dessen Beschreibung auf Wallenberg passe, noch 1990 gesehen zu haben, so z.B. der ukrainische Aktivist Josyp Terelja, der dies auch in seiner Autobiographie schrieb.
Wallenberg wurden in Abwesenheit eine Reihe von Ehrungen zuteil, darunter die Ernennungen zum Ehrenbürger Israels, der USA (1981 als erst zweiter Ausländer nach Winston Churchill), Kanadas und Budapests. Außerdem gibt es eine Stiftung, die seinen Namen trägt, und die sich u. a. der Förderung von Solidarität und Zivilcourage verpflichtet sieht.
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