Neulich kam mir ein privater, aber deshalb nicht weniger interessanter Gedanke: wenn man schreibt, verändert sich der Blickwinkel auf unangenehme Erlebnisse auf seltsame Weise. Egal, was einem Blödes passiert, man kann darüber schreiben. Man kann sogar sagen, je schlimmer das Erlebnis, desto besser die Geschichte. Wer denkt das wäre zynisch, ein Beispiel: Junge und Mädchen begegnen sich, niemand hat was dagegen, die beiden heiraten, leben glücklich, sterben…. Langweilig! Last uns Romeo und Julia lesen!
Vor einigen Wochen erwachte ich mit Bauchschmerzen. Ich starrte an die Decke, und dachte: „Mein Bauch tut weh. Ich sollte mal was über das schwedische Krankensystem schreiben. Ist bestimmt interessant. Aber ziemlich umfangreich. Ich könnte eine Serie daraus machen.“ Da meldete sich mein Magen mit einem besonders heftigen Krampf und der dringenden Nachricht „Ähm, kannst du dich vielleicht erst mal um mich kümmern?!?“
Wird man in Deutschland krank, führt einen der erste Weg zum nächsten Arzt- zumindest wenn man arbeitet und einen Krankenschein benötigt. In Schweden ruft man bei der „Ich-bin-krank-Hotline“ (08-320 100 für ganz Schweden) an. Auf der anderen Seite sitzt eine Krankenschwester (Sjuksköterska). Sie (oder er) nimmt die Beschwerden auf, stellt eine erste Diagnose und vermittelt einen weiter oder empfiehlt ein Medikament.
Im Gegensatz zu Deutschland, wo Krankenschwestern grad mal Spritzen geben und ansonsten nichts tun dürfen, haben in Schweden die Pflegekräfte weitgehende Befugnisse. Sie sind entsprechend ausgebildet, und schultern einen großen Teil der schwedischen Krankenversorgung. Sie führen Standarduntersuchungen aus, verschreiben Medikamente- wenn ich ein neues Rezept für die Pille brauche, gehe ich nicht zum Gynäkologen, sondern zur Sjuksköterska.
Empfiehlt die Sjuksköterska (Das Wort ist echt eine Abscheulichkeit der schwedischen Sprache!) eine weitergehende Untersuchung, wird man an die nächste Vardcentral verwiesen. Die Vardcentral (etwa: Gesundheitszentrale) ist sowas wie ein Ambulanz-Krankenhaus. Hausärzte, Innere, Gynäkologie, HNO und Nervenarzt haben eigene Abteilungen, in denen mehrere Ärzte (zusammen mit den unvermeidlichen Sjuksköterskas) arbeiten. Geräte und Labore werden geteilt. Das macht das ganze System effektiver. Und wie effektiv die sind! Ich habe mir mittlerweile angewöhnt, erst meine Kleidung an die Garderobe zu bringen, und mich dann anzumelden. Die Wartezeiten reichen nicht mal aus, um aufs Klo zu gehen!
Übrigens gibt es natürlich auch Ärzte in Privatpraxen. Über die kann ich nichts sagen, weil ich bisher nur bei der Vardcentral war.
Nach der Untersuchung erhält man eine Diagnose, und Arzt oder Sjuksköterska geben das Rezept in eine digitales System ein. Jede Apotheke in Schweden hat Zugriff auf dieses System. Man bekommt also kein Rezept, sondern geht in eine beliebige Apotheke, nennt die Personennummer und der Apotheker sieht auf seinem Bildschirm, welches Medikament verschrieben wurde.
Wenn man nicht will braucht man übrigens gar nichts machen. Anders als in Deutschland braucht man in Schweden nämlich erst am achten Tag der Krankheit einen Krankenschein für den Arbeitgeber. Das find ich toll! Nicht weil ich das ausnutzen will, ich gehöre zum Typ Arbeiter, der noch mit dem Kopf unter dem Arm arbeiten kommt. Aber mal ehrlich: in neun von zehn Fällen weiß man doch selbst, was einem fehlt, nach dem Motto: wenns quakt wie eine Ente, watschelt wie eine Ente, ist es auch meist eine Ente. Ich weiß nicht, wie oft ich in Deutschland mit Schniefnase und rauem Hals im Nieselregen bei zwei Grad zum Doktor gekrochen bin, um nach zwei Stunden im Wartezimmer, in dem ich mit anderen Hustenden, Schnaubenden und Niesenden die neueste Kollektion Bazillen getauscht hab, zu hören bekam: bleiben Sie zuhaus, Tee, Bett, Schlafen, und mir nur gedacht hab „Toll, das wusste ich vorher auch.“
Diesen Gedanken schleuderte ich an besagtem Morgen meinem aufgeregten Leib entgegen „In Stockholm geht die Magendarmgrippe um, vier meiner Kollegen waren letzte Woche krank. Du bekommst Tee, ich bleib zwei Tage daheim. Da brauch ich keinen Arzt.“ Er antwortete mit einem grummelnden „naja, wenn du meinst…“ Zwei Tage später ging es mir wieder gut und ich konnte zur Arbeit.
Die Geschichte endet langweilig, sagt ihr? Mehr Romeo und Julia, sagt ihr? Wisst ihr… Wenn es quakt wie eine Ente, und watschelt wie eine Ente, dann ist es in neun von zehn Fällen eine Ente. Im zehnten Fall ist es ein Schnabeltier. Oder eine Nierenkolik.
Mehr darüber beim nächsten Mal unter „Dschungel schwedisches Gesundheitssystem Teil 3: Notrufe und schwedische Krankenhäuser“….
Autor(in): Tina Skupin – [email protected]